Konflikte als Ursache von Verschwendung

Die Arbeit soll Ihnen im Büro flott von der Hand gehen. Dafür steht der Begriff Lean Digital Office bei mir. Lean bedeutet verschwendungsarm, d.h. ohne Abweichungen, ohne Verzögerungen, ohne Wiederholungen.

Konkrete Verschwendungen sind z.B.

  • Materialbewegungen (engl. transportation)
  • Bestände (engl. inventory)
  • Bewegungen (sonstige Bewegungen, engl. motion)
  • Wartezeiten (engl. waiting)
  • Überverarbeitung (engl. over-processing)
  • Überproduktion (engl. over-production)
  • Nacharbeit (engl. defects, re-work)

Das ist alles korrekt konkret und hilft, den Weg zu mehr Effizienz zu ebnen.

Allerdings merke ich immer wieder, dass es nicht so leicht ist, eine Verschwendung zu erkennen, während sie gerade eintritt oder im Gange ist. In einer ruhigen Stunde können Sie darüber reflektieren, wann z.B. in der letzten Woche Verzögerungen entstanden sind oder Überproduktion stattgefunden hat. Doch im Eifer des Tagesgeschäfts ist das schwierig. Da werden Sie nur schwer den Kopf frei bekommen für eine Reflexion.

Doch ich glaube, es ist wichtig, Verschwendung möglichst zeitnah zu erkennen. Nur dann nämlich lässt sich realistisch feststellen, wie tief Sie wirklich drin stecken. Nur dann können Sie belastbare Aussagen über Frequenz, Dauer, Art oder gar Ursache von Verschwendung machen. Das wiederum ist günstig dafür, die effektivsten Maßnahmen zu ergreifen, um Verschwendung abzubauen.

Aber wie können Sie in der Hektik des Tagesgeschäftes Verschwendung ohne hochgeistige Reflexion erkennen?

Konflikte verschwenden

Das Signal für Verschwendung ist Konflikt.

Immer wenn Sie bei Ihrer Arbeit in einen Konflikt laufen, entsteht Verschwendung einer oder mehrerer Arten. Denn jeder Konflikt hält Sie auf, das zu tun, was Sie eigentlich tun wollten.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Sie wollen eigentlich nur schnell noch mit Ihrem Kind einkaufen gehen. Alles läuft gut, Sie kommen nach der Kasse näher – doch am Süßwarenregal greift Ihr Kind in die Vollen. Sie versuchen zunächst Ihr Kind verbal zu bewegen, die Süßigkeiten liegenzulassen. Sie werden lauter. Schließlich greifen Sie ein, legen die Sachen selbst zurück und ziehen Ihr Kind weiter. Was dann folgt, können Sie sich lebhaft vorstellen 😉

Das ist ein Konflikt. Das ist nicht lean. Der Weg durch den Supermarkt ist nicht flüssig. Das fühlen Sie unmittelbar. Doch welche Verschwendungsart liegt vor? Darüber werden Sie in der Situation nicht reflektieren.

Produktionsziel war „Einkaufstüten voll mit dem, was auf dem Einkaufszettel steht“. Je effizienter, desto besser; Sie hatten einen Plan, den wollten Sie schnurstracks umsetzen.

In Bezug auf dieses Ziel ist so manches eine Verschwendung, z.B.

  • Wenn Sie vor einem Regal stehen und länger suchen müssen, um die gewünschte Marmelade zu finden, ist das eine Abweichung (Suchen statt Greifen).
  • Wenn Sie vor der Kasse in einer Schlange stehen, ist das eine Verzögerung (Sie tun das Richtige, Sie sind effektiv, indem Sie sich auf die Kasse zu bewegen, doch Sie sind nicht effizient, nicht produktiv weil viel langsamer als möglich).
  • Wenn Sie mit Ihrem Kind um Süßigkeiten streiten, ist das eine Abweichung (Überverarbeitung der Einkaufsliste).

So ist das immer, wenn Sie in einen Konflikt geraten. Der kann zwischen Ihnen und einem anderen Menschen entstehen, der kann in Ihnen zwischen Bedürfnissen oder Werten entstehen, der kann zwischen Ihnen und den Dingen und Verhältnissen in der Umwelt entstehen. Konflikte sind allgegenwärtig. Oft sind sie klein, manchmal sind sie größer und groß.

Ich möchte Ihre Sensibilität für Konflikte verfeinern. Damit bringe ich Sie auf den Weg zu mehr Wahrnehmung von Verschwendung. So wächst das Verbesserungspotenzial für Ihre Arbeit. Denn jede Veränderung zum Besseren setzt die Wahrnehmung eines Konflikts voraus.

Enttäuschung ist Konflikt

Wenn Sie im Supermarkt mit Ihrem Kind diskutieren, ist der Konflikt klar erkennbar. Wir benutzen den Begriff ja vor allem für störende Meinungsverschiedenheiten bis hin zum Kampf. Doch für mich ist Konflikt etwas viel Allgemeineres.

Konflikt entsteht immer, wenn Erwartungen enttäuscht werden. Die Realität ist dann in Konflikt mit einem Plan.

Im Supermarktbeispiel war der Plan, den Einkaufszettel zügig abzuarbeiten und mit gefüllten Einkaufstüten jenseits der Kasse anzukommen. Die Realität jedoch hat dem Plan ein widerspenstiges Kind in den Weg gestellt.

Oder hier einige Beispiele, die für Ihren Arbeitsalltag relevanter sein mögen:

  • Sie erwarten eine Stunde ungestörte Arbeit, weil Sie ein „Bitte nicht stören“ Schild an Ihre Tür gehängt und den AB angeschaltet haben. Doch als Sie mit dem Computer arbeiten wollen, installiert der gerade Windows Updates – und das dauert. Das ist unerwartet. Das ist ein Konflikt. Verschwendung durch Verzögerung.
  • Sie erwarten, in den nächsten 15 Minuten die Reise für Ihren Vorgesetzten zu organisieren. Alles läuft glatt bei der Buchung des Fluges. Doch das Hotel der bevorzugten Kette ist schon ausgebucht am Zielort. Überhaupt gibt es kaum noch freie Zimmer und wenn, dann zu sehr hohen Preisen. Ursache: Der Termin mit dem Kunden fällt in einen Messezeitraum. Das ist unerwartet. Das ist ein Konflikt. Sie müssen nun länger als geplant ein Hotel suchen (Verschwendung durch Verzögerung) oder versuchen, den Termin zu verlegen und den Flug umzubuchen (Verschwendung durch Wiederholung).
  • Ihr Plan ist, die Unterlagen für das Meeting am Nachmittag in der nächsten halben Stunde zusammenzustellen. Sie sehen Ihre Notizen vom letzten Meeting durch, Sie schauen ins Protokoll, Sie sammeln Weiteres aus einigen Emails, Sie schauen auf dem Dateiserver nach einem Projektdokument – das allerdings liegt in drei Varianten vor. Das ist unerwartet. Das ist ein Konflikt. Verschwendung durch Abweichung, denn statt das Dokument zu studieren, müssen Sie zuerst herausfinden, welches die aktuelle Version ist. Womöglich gibt es sogar mehrere separat gepflegte Dokumente, so dass Sie unterschiedliche Weiterentwicklungen zusammenführen müssen.
  • Sie erwarten die Kollegen zum Meeting im Besprechungsraum. Die ersten trudeln 2 Minuten vor dem Termin ein, die letzten mit ganz unterschiedlichen Begründungen 12 Minuten später. Das ist unerwartet. Das ist ein Konflikt. Für produktive Gespräche mit allen bleiben jetzt nur noch 33 Minuten der geplanten 45 Minuten.
  • Sie haben alles richtig gemacht bei der Vorbereitung Ihres Meetings: nur die absolut nötigen Kollegen sind eingeladen, die Agenda ist knackig, Ihre Präsentation ist nicht textlastig. Alle Eingeladenen sind auch pünktlich da. Als Sie jedoch die Präsentation beginnen wollen, zeigt der Beam nicht den Bildschirm Ihres Laptop. Das ist unerwartet. Das ist ein Konflikt. Erst nach Minuten der Fummelei und Hinzuziehen eines Mitarbeiters aus der IT-Abteilung funktioniert der Beamer wie erwartet. Sie und 5 Kollegen haben jeweils 15 Minuten also insgesamt 90 Personenminuten verschwendet.

Fühlen Sie sich in diese Situationen hinein. Überlegen Sie, wann Ihnen Vergleichbares heute oder gestern am Arbeitsplatz passiert ist. Suchen Sie dieses Gefühl der Enttäuschung, des Frustes, wenn die Dinge plötzlich nicht mehr so laufen, wie geplant. Fühlt sich das nicht an, als würden Sie gegen eine gläserne Wand rennen? Stöhnen Sie dann nicht innerlich auf? Wie ist es mit einem leisen (oder lauten) Fluch? Aus Frust wird Ärger, aus Ärger womöglich Wut. Vielleicht hauen Sie jetzt kräftiger auf die Tasten Ihres Computer. Oder Sie werden sogar laut? Oder umgekehrt: Leise beißen Sie die Zähne zusammen und machen sich an die Bewältigung des Problems.

Problembewältigung ist Verschwendung

Das Wort „Problem“ ist in Ungnade gefallen, scheint mir. Niemand spricht mehr von Problemen; alle sprechen nur noch von Herausforderungen. Das halte ich für eine wenig hilfreiche Beschönigung, nein, sogar für kontraproduktive Unklarheit. Probleme und Herausforderungen sind grundverschieden. Wir sollten uns deshalb nicht selbst etwas vormachen. Das kann nur zu weiteren Konflikten führen.

Eine Herausforderung können Sie annehmen oder nicht. Ihre Bewältigung ist optional. Sie stellt insofern im besseren Fall eine spannende Einladung dar, im schlechteren eine Ablenkung. Wenn Sie sonst nichts zu tun haben, dann nehmen Sie eine Herausforderung gern an. Sehen Sie sie als spielerisches Mittel, sich weiterzuentwickeln.

Ein Problem hingegen müssen Sie bewältigen. Das gehört zur Definition des Begriffs „Problem“. Ein Problem ist ein Hinderniss auf dem Weg zum Ziel, dem Sie nicht ausweichen können. Problembewältigung ist nicht optional. Ein Problem ist keine Einladungskarte, sondern ein Erpresserbrief. Die Botschaft lautet „Wenn du mich nicht bewältigst, dann bekommst du nicht, was du willst.“

Wie die Problembewältigung aussieht, sei dahingestellt. Das Problem „Widerspenstiges Kind am Süßwarenregal“ können Sie bewältigen, indem Sie dem Kind die Gewünschte Süßigkeit einfach kaufen oder mit ihm den Einkaufskonflikt – oder auch Ihren innerlichen pädagogischen – ausdiskutieren oder es unter den Arm klemmen und zur Kasse durchmarschieren oder sich wartend auf den Boden setzen, bis es aufhört. Sie entscheiden.

In jedem Fall müssen Sie mit der Situation umgehen. Das ist keine Herausforderung, sondern ein Problem. Und dieses Problem entsteht durch eine Differenz zwischen Plan und Realität.

Das Problem durch abwartendes Sitzen zu lösen, wäre allerdings eine Herausforderung. Diese Problemlösungsstrategie könnten Sie nämlich wählen oder auch nicht. Sie ist optional. Sie hätten kein Warteproblem, nur eine Warteherausforderung.

Alle Probleme entstehen durch Konflikte. Deshalb ist alles, was Sie zur Problembewältigung unternehmen, Verschwendung. Je mehr Probleme Sie im Büroalltag identifizieren, desto weniger lean geht es zu. Probleme blähen die Arbeitslast auf. Die Bewältigung treibt Ihnen Schweiß auf die Stirn. Das ist so, als würden Sie den ganzen Tag mit einem schweren Rucksack herumlaufen.

Es gibt zwar in unserer Gesellschaft ein Verständnis von Arbeit, das Schweiß auf der Stirn mit einem wohlwollenden Nicken bedenkt. Wer hart arbeitet, ist der Anerkennung würdig. Oder? Nein, ich halte das für eine Perversion. Schweiß auf der Stirn ist nicht lobenswert. Harte Arbeit ist nämlich nicht automatisch produktive, effiziente, schlanke Arbeit. Ich assoziiere vielmehr mit einer Aussage wie „Wir arbeiten hart…“ Haufen an unentdeckter Verschwendung.

Harte Arbeit ist problembeladene Arbeit. Problembeladene Arbeit ist konfliktreiche Arbeit. Konfliktreiche Arbeit ist Arbeit, die ständig nicht nach Plan läuft und also voller Abweichungen, Verzögerungen und Wiederholungen steckt.

***

Wenn Sie statt „hard working“ lieber „smart working“ sein wollen, wenn Sie verschwendungsarm produktiv und entspannt arbeiten wollen, dann halten Sie Ausschau nach den kleinen und größeren Konflikten. Entwickeln Sie die Sensibilität, Verschwendung zu erspüren. Bemerken Sie die Enttäuschungen, die Momente der Frustration und des Ärgers, wenn die Arbeit im Office nicht nach Plan läuft. Dann stecken Sie im Konflikt und müssen Ressourcen verschwenden, um das Problem zu bewältigen.

Um Ihr Gefühl zu objektivieren, können Sie mit einer Strichliste beginnen. Wann immer Sie den Stich einer Enttäuschung spüren, machen Sie einen Strich. Zunächst nicht mehr. Lassen Sie sich überraschen, wie häufig Sie jeden Tag in Probleme laufen.

Im nächsten Schritt können Sie die Striche mit Kommentaren versehen: Was ist Ihre Erwartung, wie sieht demgegenüber die Realität aus? Um welche Arbeit handelt es sich? Wann werden Sie enttäuscht? Welche Werkzeuge, welcher Content, welche Menschen sind beteiligt?

Je feiner Sie Konflikte dokumentieren, desto mehr Potenzial schaffen Sie, um Muster zu erkennen. Die sind anschließend Ansatzpunkte für Verbesserungen.

Aber Achtung! Solche Dokumentation selbst ist natürlich in Bezug auf Ihre eigentliche Arbeit im Moment zunächst auch Verschwendung durch Abweichung. Solange Sie es damit aber nicht übertreiben, ist das eine „lässliche Sünde“ 😉 Sie verschwenden lokal ein wenig, um global die Verschwendung umfassend zu reduzieren. Diese gute Absicht zählt!

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