Tipps für mehr Produktivität und Zufriedenheit – Teil 2
Mein erster Produktivitätstipp für Sie lautete, Sie sollten sich minimal systematisieren, indem Sie rauskommen aus dem ewigen nur Wegschaffen von Aufgabenbergen. Rhythmisieren Sie Ihre Arbeit, indem Sie sich regelmäßig Zeit nehmen zur Reflexion. Damit nehmen Sie ein Steuerrad in die Hand, um sich aus dem “Chaos” heraus zu manövrieren. Maximal 5% Ihrer Zeit reichen dafür: ca. 15 Minuten pro Tag und nochmal 45 Minuten für eine Woche.
Aber ist das nicht paradox? Sie wollen produktiver werden, d.h. mehr schaffen in Ihrer Arbeitszeit, und ich empfehle Ihnen als erstes, von der 5% für eine Reflexion abzutrennen?
Nein, das ist nicht paradox. Paradox oder kontraproduktiv wäre es nur, wenn Sie Ihre Arbeit schon optimal verrichten würden. Wenn es nicht mehr besser ginge, dann würde jede Reduktion der Arbeitszeit zu einem Verlust an Leistung führen. Ihr Problem ist ja aber – sonst würden Sie dies nicht lesen –, dass Sie nicht so produktiv sind, wie sie sein möchten und glauben, sein zu können. Da ist also noch Raum für Verbesserung. Nur was können Sie tun, um besser zu werden, d.h. effizienter und effektiver – und am Ende auch noch zufriedener?
Eine Antwort auf diese Frage finden Sie nicht im Schlaf. Sie können Sie auch nicht einfach kaufen. Mit meinen Tipps will ich Ihnen gern helfen – doch ich kann Ihnen nicht abnehmen, sie umzusetzen. Ihre Arbeit müssen Sie weiterhin selbst machen. Weil nun aber die Umsetzung nicht einfach so aus dem Stand funktioniert und weil womöglich nicht einmal klar ist, was Ihr größtes Hindernis auf dem Weg zu Ihrem Ziel ist, müssen Sie sich Zeit nehmen, genau darüber nachzudenken und Ihren Weg immer wieder zu korrigieren. Dafür sind die 5% Reflexionszeit gedacht. Haben Sie also keine Angst, ich würde Ihnen damit wertvolle Zeit klauen. Im Gegenteil! Retrospektiven sind die Voraussetzung dafür, dass Sie aus den anderen 95% Ihrer Arbeitszeit das Maximum herausholen.
Aber wie können Sie nun diese 95% besser nutzen? Wie optimieren Sie Ihr Wegschaffen des Aufgabenberges?
Zunächst ein Exkurs in die Psychologie:
Multitasking: Illusionäre Gleichzeitigkeit
Es ist ja inzwischen schon sprichwörtlich: Multitasking funktioniert nicht. Als Menschen können wir uns nicht mehr als einer Aufgabe bewusst widmen. Oder anders: Wir können es versuchen, doch die Ergebnisse bleiben hinter dem zurück, was wir erwarten und auch erzielen könnten, wenn wir uns nur fokussieren würden. Aber was ist Multitasking eigentlich? Und warum klappt es notorisch nicht damit?
Die Unfähigkeit zum Multitasking bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht zwei Dinge gleichzeitig tun können. Selbstverständlich können Sie gleichzeitig ein Kaugummi kauen und lesen. Und Sie können auch Musik hören und gleichzeitig die Spülmaschine ausräumen. Sogar Musik hören, Kaugummi kauen und lesen ist möglich.
Doch schon wenn Sie versuchen, an einem Gespräch teilzunehmen und gleichzeitig Notizen darüber zu machen, wird es schwierig. Das erfordert mindestens einige Übung. Und unmöglich wird es, wenn Sie eine wichtige Geschäfts-E-Mail schreiben und versuchen, gleichzeitig ein wichtiges Telefonat zu führen. Dann ist es aus mit der Gleichzeitigkeit. Dann können Sie die einzelnen Tätigkeiten nur noch im Wechsel ausüben – auch wenn es Ihnen scheinen mag, als würden Sie alles gleichzeitig tun.
Lassen Sie es mich etwas formaler ausdrücken: Zu jedem Zeitpunkt können Sie sich nur einer Tätigkeit mit Bewusstsein widmen. Etwas anderes schafft Ihr Gehirn einfach nicht. Echte Gleichzeitigkeit von Tätigkeiten gibt es ausschließlich dort, wo lediglich eine der vielen Tätigkeiten Bewusstheit erfordert.
Natürlich kann in einer solchen Situation die Aufmerksamkeit wechseln. Es mag Ihnen ein Musikstück während des kaugummikauenden Lesens auffallen. Dann horchen Sie hin, merken sich den Titel vielleicht. Anschließend kehren Sie wieder zurück zum Lesen.
Aufgefallen ist Ihnen das Musikstück aber nicht bewusst! Ihr Bewusstsein ist vielmehr einem Impuls aus dem Unterbewusstsein gefolgt und hat sich vom Buch auf das Musikstück umorientiert. Das ist der Job des Unterbewusstseins, Ihre Umwelt ständig zu bewerten, ob da etwas Relevantes passiert – und das ggf. dem Bewusstsein “zu melden”.
Und nur so kann es auch funktionieren, wenn Sie “gleichzeitig” einen Geschäftsbrief schreiben und telefonieren wollen. Es geht eben nicht wirklich gleichzeitig, sondern nur zeitversetzt, sequenziell.
Soweit das Grundsätzliche. Aufmerksamkeit kann zu einem Zeitpunkt nur bei einer Tätigkeit sein. Ich denke, zumindest soweit stimmen Sie mit mir noch überein.
Jetzt zum Multitasking. Lesen und Kaugummi kauen wird nicht als Multitasking bezeichnet. Schreiben, danach telefonieren, dann wieder mal schreiben – das ist auch noch kein Multitasking. Nicht jeder Wechsel zwischen Aufmerksamkeit heischenden Tätigkeit qualifiziert sich als Multitasking. Nicht der Wechsel an sich ist entscheidend, sondern seine Frequenz. Erst wenn der Wechsel so schnell erfolgt, dass die Illusion von Gleichzeitigkeit entsteht, kommen Sie in den Multitasking-Modus.
Multitasking ist wie Film: Durch die Aneinanderreihung vieler kleiner Schnipsel soll eine Illusion erzeugt werden. Beim Film ist Bewegung die Illusion. Beim Multitasking ist es die Gleichzeitigkeit mehrerer Tätigkeiten.
Daran ist nichts auszusetzen – wenn Sie sich denn der Konsequenzen bewusst wären und es überhaupt funktionieren würde.
Quasi gleichzeitig, aber langsam
Eigentlich sollte es auf der Hand liegen, trotzdem ist es vielleicht nützlich darauf hinzuweisen: Durch Multitasking dauert alles länger. Auf wenn der Aufwand durch Multitasking nicht steigen sollte, verzögert Multitasking die Fertigstellung. Die Grafik macht das deutlich:
Aufgaben zu erledigen, dauert eine gewisse Zeit. Am schnellsten geht es, wenn Sie sich einer Aufgabe ohne Pause voll von Anfang bis Ende widmen. Dann können Sie Aufgaben zwar nur nacheinander erledigen, doch jede Aufgabe wird maximal schnell abgearbeitet. Vorteil: Jede Aufgabe ist frühestmöglich fertig – in der Reihenfolge der Abarbeitung; allemal die erste Aufgabe, die Sie angehen.
Beim (idealen) Multitasking ist es anders. Wie Sie sehen, dauert zwar keine Aufgabe länger; die Summe der Dauern der “Scheiben”, in die sie durch den Aufmerksamkeitswechsel zerlegt wurden, ist gleich der Gesamtdauer wie bei sequenzieller Abarbeitung. Insofern ist die Zeit bis zur Erledigung aller Aufgaben nicht größer. Doch wann die einzelnen Aufgaben abgeschlossen sind, ist ungewiss. Keine wird ja mehr schnellstmöglich abgearbeitet. Die Zeit von Arbeitsaufnahme bis –ende je Aufgabe ist größer; Sie arbeiten also langsamer in Bezug auf die einzelnen Aufgaben.
Dennoch kann es einen Vorteil durch Multitasking geben: Aufgaben werden früher begonnen. Das bedeutet, Sie können bei Unsicherheit früher Klarheit erlangen. Oder Sie können Wartezeiten, die bei der Abarbeitung entstehen, mit anderen Aufgaben füllen. Oder der Auftraggeber bekommt ein gutes Gefühl, weil Sie sich ihm schneller widmen.
Dieser letzte Punkt ist nicht zu unterschätzen. Denn wer würde einem Auftraggeber nicht lieber sagen “Ich habe schon mit der Aufgabe begonnen!” statt “Ich habe mir dir Aufgabe für in 3 Wochen eingeplant.”? Schnelle Abarbeitung ist auch nur ein Wert von vielen, dem Sie dienen können. Ein anderer ist Zufriedenheit des Auftraggebers. Und wenn die womöglich mehr daran hängt, dass Sie schnell beginnen, selbst wenn dadurch nichts schneller wird, dann mag der Multitasking-Modus hilfreich sein.
Doch Vorsicht!
Geschäftig, aber verschwenderisch
Bis hier habe ich ideales Multitasking beschrieben. Leider ist die Welt jedoch nicht so einfach. Ihr Gehirn kann so nicht arbeiten. Selbst ein Computer kann so nicht arbeiten.
Idealisiert ist die Darstellung nämlich, weil das Umschalten der Aufmerksamkeit anscheinend verlustfrei funktioniert. Nichts könnte jedoch ferner der Realität sein. Vielmehr sieht es so aus beim menschlichen Multitasking:
Beenden können Sie eine bewusste Tätigkeit meist sofort – gewollt, aber besonders ungewollt. Deshalb haben die Balken im Diagramm ein vertikales Ende. Beispiel: Sie konzentrieren sich, während Sie den Kassenbon vom Supermarkt kontrollieren, bilden eine Summe im Kopf – und dann fragt Sie der Kunde hinter Ihnen, ob Sie den Einkaufswagen weiterschieben können. Schon sind sie raus. Die ganze Arbeit der Summation umsonst. Sie müssen noch einmal von vorn beginnen.
Beginnen können Sie eine bewusste Tätigkeit hingegen meist nicht von jetzt auf gleich. Sie brauchen etwas Zeit, um sich einzudenken. Bevor Sie voll produktiv sind, vergeht etwas Zeit. Das ist auch und vor allem so, wenn Sie eine Tätigkeit nach einer Unterbrechung wieder aufnehmen. Waren Sie vor der Unterbrechung noch “im Flow”, konzentriert, ganz in der Aufgabe, dann müssen Sie sich diesen Zustand nach der Unterbrechung erst wieder erarbeiten. Wie lange die Anlaufphasen sind, hängt von der Tätigkeit ab. 5 bis 15 Minuten sind aber durchaus normal. Je mehr Kreativität eine Aufgabe braucht oder je mehr Sie dabei “im Kopf behalten müssen” (Konzentration), desto flacher die Steigung am Anfang des Tätigkeitsbalkens im Diagramm. Der schwarze Balken drückt es noch krasser aus: Während dieser Zeit sind sie einfach noch nicht (wieder) voll bei der Sache. Ihr produktive Zeit in Zufriedenheit beginnt erst danach.
Diese realistischere Sicht auf Ihre Aufmerksamkeit führt nun zu einer sehr unschönen Verschiebung des Multitasking-Bildes:
Multitasking macht nicht nur nichts schneller, sondern sogar langsamer. Wenn Sie bei einer Aufgabe, die eigentlich 30 Minuten gedauert hätte, alle 8 Minuten für 2 Minuten unterbrochen werden, sind Sie nicht erst nach 30+3*2=36 Minuten fertig. Nein, es dauert bei einer Anlaufphase von durchschnittlich 3 Minuten sogar 30+3*(2+3)=45 Minuten. Die scheinbar kurzen Unterbrechungen haben zu einer 50%igen Verzögerung geführt.
Die Rechnung fällt umso schlechter für das Multitasking aus….
- …je kürzer die Wechsel im Verhältnis zu den Anlaufphasen sind
- …je kürzer die Aufmerksamkeitsspannen im Verhältnis zu den Anlaufphasen sind, d.h. je höher die Wechselfrequenz ist.
Im Multitasking-Modus können Sie also sehr beschäftigt sein – ohne etwas zu schaffen. Je häufiger Sie wechseln, desto weniger schaffen Sie pro Zeiteinheit – und desto erschöpfter sind Sie am Ende des Tages. In der Informatik hat man einen Begriff dafür: Thrashing. Das bedeutet: Leeres Stroh wird gedroschen, wenn zum Beispiel immer wieder unterschiedliche Festplattenbereiche ein-/ausgelagert werden müssen, weil ein Programm beide braucht, aber nicht beide gleichzeitig im Hauptspeicher Platz haben. Dann passiert ganz viel, Bauteile erhitzen sich – aber es kommt unterm Strich wenig heraus.
Fazit
Wenn Sie es bisher nicht geglaubt haben sollten, dann hoffentlich jetzt: Multitasking hört sich gut an, funktioniert aber nicht wirklich. Ein gewisser unter Umständen möglicher Vorteil wird schnell aufgefressen durch viele sichere Nachteile.
Tipp #2: Widmen Sie sich zu jeder Zeit nur einer Aufgabe
Nach diesem Ausflug in etwas Theorie können Sie es sich denken. Mein zweiter Tipp für mehr Produktivität und Zufriedenheit lautet: Fokussieren Sie sich. Behalten Sie Ihre Aufmerksamkeit bei einer Aufgabe, bis die fertig ist. Vermeiden Sie unter allen Umständen Multitasking. Erliegen Sie nicht seinen Sirenenklängen. Nichts wird schneller fertig. Und am Ende ist auch niemand glücklicher, weil Sie sich im hurtigen Wechsel mal diesem, mal jenem widmen. Die sofortige Reaktion auf Unterbrechungen macht nur kurzfristig gute Laune beim Unterbrechenden. Spätestens wenn Sie durch andere Unterbrechungen, die Sie auch zugelassen haben, in Verzug geraten, weil ja mit Multitasking alles länger dauert, ist die gute Laune dahin. Niemand wird dann Verständnis zeigen, wenn Sie vortragen, “Aber ich habe mich nicht ganz auf Ihren Auftrag konzentrieren können. Sie haben mich bei anderem ja auch unterbrochen…”
Wenn Sie dem Multitasking erliegen, weil Sie nicht auf Ihren Fokus achten, oder “durch die Umstände” oder “das System” scheinbar gezwungen werden, dann ziehen Sie immer den Kürzeren.
Deshalb sollte Ihr Motto lauten: Fokus, Fokus, Fokus.
Das bedeutet: Was Sie anfangen, das machen Sie fertig. Ohne Unterbrechung – weder durch andere, noch durch Sie selbst.
Selbstverständlich sollen Sie Pausen machen. Und selbstverständlich sollen Sie nicht 28 Stunden am Stück arbeiten, falls die Abarbeitung so lange dauern würde. Ebenso können Sie kaum 100%ig Unterbrechungen/Wechsel vermeiden. Doch Sie sollten sich immer bewusst sein, welchen Preis Sie zahlen, wenn Sie sich unterbrechen (lassen). Es geht mir um Sensibilisierung. Und ich möchte Ihnen ein Ziel geben, an dem Sie Ihre Praxis messen können. Selbst wenn Sie es nicht erreichen sollten, können Sie feststellen, ob Sie sich ihm annähern. Das ist eine hübsche erste Aufgabe für Ihre Retrospektiven: Prüfen Sie, wieviel Zeit Sie fokussiert arbeitend verbracht haben. Hatten Sie Phasen von 30, 60 oder gar mehr Minuten ungestörter Arbeit, in der Sie sich konzentriert Ihren Aufgaben widmen konnten? Denn nur dann waren Sie wahrhaft produktiv.
Ich weiß, dass es Ihnen schwer fallen wird, ausgedehnter Zeiträume fokussierter Arbeit einzurichten. Für den Moment soll das jedoch Ihr Anspruch sein. Probieren Sie es. Immerhin haben Sie jetzt Argumentationshilfe an der Hand. Und in den nächsten Wochen erhalten Sie hier noch weitere Tipps für mehr Produktivität und Zufriedenheit.
Ressourcen
Dan Thurmon, The Myth of Multitasking
Der Gastblogger
Ralf Westphal ist Berater und Coach für Softwarequalität/-architektur und Teamorganisation. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren selbstständig für die IT-Branche – und in den letzten Jahren auch darüber hinaus. Als Querdenker mit breitem Interessengebiet glaubt er daran, dass Lernen im persönlichen wie organisatorischen Maßstab von Grenzüberschreitungen profitiert. Ralf ist darüber hinaus Autor von mehr als 500 Publikationen in Fachzeitschriften, betreibt mehrere Blogs und ist regelmäßiger Referent auf Fachkonferenzen im In- und Ausland. Blog: ralfw.blogspot.com, Twitter: @ralfw, Homepage: www.ralfw.de.