Über einen Beitrag auf Xing bin ich auf das Buch „Lean auf gut Deutsch“ von Mary Furukawa-Caspary gestoßen und habe mir aufgrund des kulturellen Hintergrunds einer Doppelsprachlerin neue Einsichten versprochen und gehofft, dass die Sprache mal etwas anders ist als in der üblichen Lean-Literatur. Ich habe häufig das Empfinden, die akademischen Fachtermini sorgen für Distanz. Diese steht der pragmatischen Umsetzung von Lean-Methoden und Adaption einer Lean-Haltung im Wege.
Ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil, ich habe für mich wesentliche neue Denkanstöße mitgenommen. Ich habe mich gefreut, dass man für viele akademische Termini verblüffend einfache Begriffe finden kann. Außerdem ist es Frau Furukawa-Caspary gelungen, einige Werte, die ich leben und vermitteln möchte, die mir in der Lean-Literatur-Landschaft bisher gefehlt haben, absolut plausibel in den Lean-Zusammenhang zu bringen.
Lean-Experten Wissen ohne Umwege
Ich wusste nicht wirklich, dass die meisten Experten der Lean-Industrie ihr Wissen überwiegend aus angelsächsischen Quellen beziehen. Die Übersetzung in’s Deutsche erfolgt daher oft über den Umweg Englisch, ohne Kenntnis des ursprünglichen japanischen Begriffs. Dabei bleiben wesentliche Bestandteile des Ursprungskontextes auf der Strecke.
Das rückt Frau Furukawa-Caspary gerade. Nicht nur fällt der Umweg über Englisch weg, sondern sie hat auch sehr viel Erfahrung in Lean-Projekten in der Zusammenarbeit mit Shunji Yagyu und das kulturelle Verständnis für das Geburtsland dieses Produktionssystems. Dass der Begriff „lean“ eine sehr amerikanische Sichtweise ist, und mit dem ursprünglichen Ansatz nur wenig zu tun hat, wird schnell klar.
Gleich auf den ersten Seiten wird erwähnt, dass die bekannten Werkzeuge wie 5S oder Wertstromanalyse sich zwar großer Beleibtheit erfreuen, aber häufig missverstanden werden. Nach Aberntung der „low hanging fruits“ macht sich Stagnation und Enttäuschung breit. Diese Erfahrung teile ich. Im Buch wird erklärt, was das Wurzelproblem dieser Stagnation ist und wie man dem begegnen kann.
Wesentliche Erkenntnisse, die ich mitgenommen habe:
- Lean ist keine Methode, die erfunden wurde, um ein bestehendes Massenproduktions-Unternehmen besser funktionieren zu lassen. Lean stellt hingegen alle gängigen Prämissen der gängigen industriellen Produktion in Frage
- Zentrale Bedeutung hat der Blick auf ein ganzheitliches Produktions- und Managementsystem
- Der Mensch hat eine zentrale Rolle:
- hat die Aufgabe seinen Verstand zu gebrauchen um Werkezuge, Material und Prozess zu beherrschen
- muss kommunizieren, um dies immer besser zu können. Sehr spannend: die Handwerkerlogik: Toyota wirtschaftet nicht wie ein Kaufmann, sondern wie ein Handwerker
- Kostensenkung ist nicht das Ziel
- Ideen und Behauptungen sollten immer auch in die umgekehrte Richtung durchdacht werden, denn
- Gesunder Menschenverstand reicht nicht, sondern es braucht Mut, genau diesen zu durchbrechen, um auf unkonventionelle neue Ideen und Lösungen zu kommen
- Lean strebt bewusst eine Überwindung der Arbeitsteilung nach dem Taylorschen Modell an
- Ein Lean-Produktionssystem passt perfekt für sich schnell ändernde Marktsituationen, in denen die Sortenvarianz zunimmt, die Losgrößen sich verkleinern und Kunden anspruchsvoller werden
Für mich ist dieses kleine Büchlein eine unbedingte Empfehlung und ich wünschte, ich hätte es am Anfang meiner Beschäftigung mit Lean schon entdeckt. Bin sehr gespannt auf den zweiten Teil: Lean auf gut Deutsch, Band 2, Zielsetzung und Just-in-Time.